kulturostklimawechsel

Erste Erfahrungen mit Schwarz/Schill Seit dem 23. September herrschen in Hamburg und Bergedorf neue Mehrheitsverhältnisse: in Hamburg eine Koalition aus CDU, Schill und FDP (33+25+6=64 Sitze) gegenüber SPD (46 Sitze) und GAL (11 Sitze), in Bergedorf (ohne Koalition) CDU und Schill (14+8=22 Sitze) gegenüber SPD (16 Sitze) und GAL (3 Sitze). Wie wirkt sich die neue Machtverteilung aus? Welche Politik machen CDU/Schill Bergedorf?

Schill in Bergedorf

Die Schill-Partei in Bergedorf ist geprägt von ihrem Vorsitzenden Frank-Michael Bauer, der zugleich Bürgerschaftsabgeordneter ist. Von den acht Schill-Abgeordneten haben sich bisher nur Bauer und (Ix) Klaus Eppler zu Wort gemeldet. Da Bauer sich zu nahezu jedem Thema äußert, kann man Schill in Bergedorf bisher zu Recht als One-Man-Show bezeichnen. Damit hat Bergedorf eine besonders starke Schill-Fraktion, während etwa aus Altona berichtet wird, dass die dortige Schill-Fraktion ganz am Rockzipfel der CDU hinge. Verfrühte Verallgemeinerungen verbieten sich also.

Sendungsbewusstsein

Den neuen "Machthabern" ist deutlich anzumerken, dass sie sich in ihrer Rolle wohl fühlen. Bauer brachte das in der ersten BV selbst mit erfrischender Klarheit zum Ausdruck: "Regieren ist geil", bekannte er. Nun ist die Freude an der eigenen Tätigkeit nichts Anrüchiges, käme nicht - insbesondere bei den Schillis - ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein hinzu. Beseelt von der Überlegenheit der eigenen Anschauung werden Entscheidungen selten begründet, sondern die Debatte mit einem "wir machen das schon" abgewürgt. Besonders deutlich wurde dies bei der Entscheidung über die neue Trägerschaft für das JUZENA in Neuallermöhe, die von CDU/Schill ohne Kommentar an die TSG gegeben wurde, obwohl sich SPD und Jugendamt zuvor mit ausführlichen Begründungen für einen anderen Träger eingesetzt hatten. Auch die CDU surft auf dieser Welle gern mit. So entgegnete Correll dem Einwand, sein Vorschlag einer Umwidmung von Geldern sei nicht mit dem Haushaltsrecht vereinbar, dass man "ihm da schon vertrauen könne, dass sie das hinkriegen würden." CDU und Schill agieren mit dem unverwüstlichem Selbstbewusstsein, alles besser zu können und dafür gewählt worden zu sein, alles besser zu machen.

Alles Filz

Das Generalargument von CDU/Schill gegen die bisherige Politik ist, dass alles ein Ergebnis von Filz und Vetternwirtschaft sei. Beschlüsse der alten BV und des rot-grünen Senats (damals häufig mit Zustimmung der CDU beschlossen) gelten nun als "politische Kaufpreise" oder "Wahlgeschenke", die man revidieren müsse. Abgesehen davon, dass man manchmal auch sinnvolle Dinge geschenkt bekommen kann, ist diese Einschätzung nicht immer falsch. Für CDU/Schill folgt daraus aber in der Regel, dass selbst die Prüfbank noch Zeitverschwendung wäre und man besser alles gleich auf den Müll befördern solle. So geschehen beim Verkehrskreiselstreit, bei dem zwar eine Verkehrszählung gefordert, gleichzeitig aber ein sofortiger Baustopp beschlossen wurde. Auch bei der unabhängigen Sozialberatungsstelle (ohnehin auf 2 Jahre mit anschließender Evaluation befristet) möchten CDU/Schill sich zwar bemühen, die Stellen von der BAGS zum Sozialamt zu verlagern, unabhängig davon sollte aber die Beratungsstelle sofort geschlossen werden. Letzteres konnte jedoch durch Intervention von Krupp abgewendet werden. Insgesamt versucht die neue CDU/Schill-Politik, erst mal alles zu stoppen, was auch nur entfernt nach rot-grün aussieht, um dann zu überlegen, wie es weitergehen soll. Erst Handeln, dann Denken, heißt die Devise.

Rhetorik

Ein beliebtes Stilmittel in den Reden von Bauer und der CDU sind Bemerkungen, die einen bestimmten Schluss nahe legen, ohne ihn selbst zu behaupten. Bereits die bisherigen zwei Bezirksversammlungen lieferten dafür zahlreiche Beispiele. So sagte z.B. Bauer über die beiden mit BAT IV und Vb dotierten Stellen der unabhängigen Sozialberatungsstelle, dass "manche Mitarbeiter im Sozialamt froh wären, wenn sie so viel bekämen." Die implizierte Aussage, Mitarbeiterinnen von freien Trägern würden für die gleiche Tätigkeit mehr Geld bekommen, als Mitarbeiterinnen des Bezirksamts ist jedoch falsch (Besserstellungsverbot). Weitere Stilmittel sind persönliche Diffamierungen ("viele von denen, die jetzt große Reden schwingen, habe ich in Neuengamme noch nie gesehen." (Daur (CDU) bei der aktuellen Stunde zur Erweiterung der KZ Gedenkstätte Neuengamme), oder Redebeiträge, die mit dem zu debattierenden Antragstext nichts zu tun haben (z.B. bei der Debatte über den Spritzentausch in der JVA Neuengamme, bei der das Thema schnell auf "pro-contra Zwangsentzug" umgelenkt wurde). Die Erwiderung auf solche Reden ist außerordentlich schwierig, da man nur verlieren kann: lässt man sich auf die Angriffe ein, so trägt man zur Verschiebung der Debatte auf eine sachfremde Ebene bei, lässt man sie unkommentiert, gibt man ihnen ungewollt recht. Der Fraktion wird hier noch einiges Geschick abverlangt werden.

Nebelbomben

Ein bisher schwer zu beurteilender aber dennoch schon heiß diskutierter Aspekt ist die Frage, ob sich aus dem bisherigen Verhalten von CDU/Schill bereits Rückschlüsse auf langfristige Strategien ziehen lassen. Viele der bisher gestellten Anträge sind von bemerkenswerter Naivität und fordern gerade heraus die Verlagerung von Geldern und Stellen ohne Rücksicht auf Haushaltsrecht oder Senatsvorbehalte. Der Eindruck liegt nahe, hier würde das berüchtigte "sichere Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit" forsch praktiziert. Trotzdem sollte man misstrauisch bleiben: das Verhalten von CDU/Schill im Jugendhilfeausschuss, in dem kommentarlos die Trägerschaft für ein Jugendzentrum (JUZENA) mit schwieriger Klientel an einen neuen Träger (TSG) übergeben wurde, der von sich selbst sagt, keinerlei Vorkenntnisse in der (außersportlichen) pädagogischen Jugendarbeit zu haben, könnte man leicht als dummdreist abtun. Tatsächlich könnten sich aber auch langfristige Strategien dahinter verbergen, bestimmte Träger aus den Förderstrukturen der Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit nacheinander zu eliminieren. Die Beteuerungen von CDU/Schill, dieser oder jener Verein würde natürlich "hervorragende Arbeit leisten" (z.B. Der Begleiter, KZ Neuengamme, Unser Haus, Internationaler Bund) und gleichzeitig diese Arbeit in einem Antrag abzuschaffen oder massiv zu behindern könnten sich auch als Nebelbomben erweisen, die diese Strategien verschleiern und Solidarisierungen verhindern sollen. Hier ist erhöhte Wachsamkeit gefordert.

Fazit

Anders als die parlamentarisch isolierte DVU hat die Schill-Partei in der CDU eine willige Partnerin und in Frank-Michael Bauer einen wortstarken Führer. Rhetorik und Taktik machen eine Auseinandersetzung außerordentlich schwierig. Mehr denn je wird es in Zukunft auf Vernetzung ankommen. Nur bei funktionierender Kommunikation und Kooperation zwischen den bedrohten Einrichtungen untereinander und mit der politischen Ebene werden langfristige Strategien sichtbar werden und wird Widerstand die nötige Breitenwirkung haben. Die bisher gepflegte, stark an Einzelthemen orientierte Sacharbeit wird einer Politik, die sich ungeliebter Einrichtungen nacheinander, nichtöffentlich und jeweils an ihrer schwächsten Stelle angreifend entledigt, nicht gewachsen sein. Die in den vergangenen Jahren fortgeschrittene Entsolidarisierung und Entpolitisierung der Einrichtungen, die Eigenbrötelei der GAL und der parlamentarische Misserfolg des Regenbogen könnten sich dabei als fatale Fehler erweisen.

WB01728_.gif (149 Byte)Zur Titelseite    jhz09.04.02